Gibt es in Stuttgart eine gute Kaffeekultur?

17. Mai 2021

Die Kurzstrecke in Bus und Bahn ist immer genau drei Haltestellen lang – Zeit genug, um was Kurzes zu lesen. Unser Kolumnist Martin Elbert fragt sich heute: Gibt es eine gute Kaffeekultur in Stuttgart?

Die einfache Antwort lautet: Definitiv ja. Von West nach Ost, von Nord nach Süd. Wie in jeder anderen Großstadt kann man in Stuttgart seine Zeit mit Espresso, Latte und Americano – oder wie wir einfachen Leute sagen: „Einmal Kaffee schwarz bitte“ – richtig schön verbummeln. Denn irgendjemand ist immer da. Kaffeetrinker Running Gag: „Was machst du eigentlich den ganzen Tag?“

Herrlich ganztags Kaffee trinken geht sowohl in alteingesessenen, traditionellen Einrichtungen als auch in unzähligen neueren, mitunter immer noch gerne leicht bis stark verächtlich als „Hipster-Cafés“ verrufenen Spots. Dort hat der Hobby-Barista seinen Dream zum Beruf gemacht und sich eine Schürze umgehängt, um seinen Gästen „endlich guten Kaffee bieten zu können“. Die Finanzierung stemmten die Eltern.

Die Sammlung an großartigen Läden ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten imposant hochgewachsen wie Kaffeebohnen-Felder. Die verschiedenen Genussmittel-Philosophien werden einem freundlich – oder auch unfreundlich – aufgebrüht oder durch die Siebträgermaschine serviert unter anderem im Mókuska, Tatti, Gustav, Taraba, ConSafos, Moulu, Caffè-Bar, Condesa, Misch Misch, Café Da, am Herbert’z, Lang – My Best Espresso, Schwarzmahler, Another Milk oder Galerie Kernweine. Alle total schick und super nice, so will es der Insta-Zeitgeist.

Die Harten gehen zwischendurch zum Yorma’s oder zum Stöckle und trinken dort Kännchen. Und was ist eigentlich aus dem Nullerjahre-Hype Starbucks geworden, wisst ihr noch, damals, früher, als es cool war, seinen Namen im Laden ausrufen zu lassen? Die ziehen sich immer mehr zurück, schließen vermehrt Filialen, und das global.

Die Entwicklung in den letzten Jahrzehnten ist bekannt: Die meisten inhabergeführten Geschäfte haben nach und nach aufgegeben, der oft bejammerte Siegeszug der Filialisten überflutete die Shopping-Meile und jetzt werden die wieder langsam weggeflutet. Die ersten großen Marken haben ihre Häuser aufgegeben, verstärkt setzt die Verwandlung in ein gefühltes 1,2 Kilometer langes Resterampe-Outlet ein. Die Angst vor der Verödung geht um.

Angetrieben wird die hiesige Kaffeekultur vom südländische Flair im Kessel. Alle draußen und das Leben genießen. Man wollte doch nur einen Espresso schnell im Stehen kippen und dann bleibt man doch wieder eine Stunde hocken. Zwischenzeitlich wie in Mailand hier, gell?! Oder wie einst der Blog European Coffee Trip nach seinem Besuch in Stuttgart als Fazit schrieb: „When the sun is out, so are the people!“ Ansage!

Die etwas komplexere Antwort lautet: Aufgrund der Vielfalt ist Kaffeegenuss und die lokale Kaffeeszene ein mitunter sehr emotionales Thema geworden, analog zu ähnlich banalen Dingen wie Burger, Pizza oder Eis. Alles keine Magie aber religiös streiten kann man trotzdem darüber. Es dreht sich natürlich oft darum, wo es den allerallerbesten Kaffee gibt und schon explodiert der Social Media Fight. Man rüstet gegenseitig auf mit dem Wissen über Röst- und Mahlgrade und die Wahl der richtigen Maschine und Zubereitung. Im Stöckle gibt’s derweil Kännchen, schon erwähnt?

Ich frag mich oft, ob derartige Schlachten und aus jedem noch so kulinarischen Lüftchen eine Energie raubende, viel diskutierte Angelegenheit zu machen, ein rein Stuttgarter Mindset ist oder ein deutsches oder gar globales Großstadt-Phänomen ist. Ich meine: Es geht um Kaffee! Der ist halt mal so oder mal so aber niemals ein Sterne-Dinner für 250 Euro, also letztendlich total egal.

Die Hobby-Barista-Manie ist weitverbreitet. In dem Haus, in dem ich mein Büro habe, sind mehrere Firmen. Eines Tages habe ich den Typen kennengelernt, der über mir seine kleine Firma hat, Bereich Messebauten, es war unser allererstes Gespräch überhaupt. Schon nach circa 30 Sekunden musste er mir direkt reinsingen, dass er nur die richtigen großen Projekte stemmt. Aber natürlich tust du das, was denn sonst. Und was machst du, Martin? Dies und das schreiben. Aha!

Nur weitere 30 Sekunden später fragt er mich, ob ich gerne Kaffee trinken würde und ich könnte gern mal zu ihm hochkommen. Er hätte eine RICHTIG GUTE Maschine für sage und schreibe 1000 Euro! Daraufhin antwortete ich: „Ja gerne, aber du kannst auch zu mir runterkommen, ich habe eine Filtermaschine für 29 Euro. Der Kaffee schmeckt mir.“ Das war wohl eine richtige Beleidigung und der Große-Projekte-Mensch ist fast geplatzt: Ich hätte doch gar keine Ahnung von gutem Kaffee!

Das Gespräch, das wohlgemerkt dann insgesamt keine zwei Minuten ging, war dann Gott sei Dank beendet. Seitdem haben wir, außer uns zu grüßen, nie wieder miteinander geredet. Es ist kompliziert also mit dem Kaffee bei zunehmender Kaffeekultur. Letztendlich zählt doch nur eines: Er muss schmecken. Die Filtermaschine habe ich immer noch. Natürlich.