Redaktion
28.10.2021

4 Minuten mit Tom Kraushaar

In vier Minuten in die Waldidylle: Die Fahrt mit der Standseilbahn ist immer ein Erlebnis. Wir nutzen die Zeit, um Stuttgarter Persönlichkeiten in einem "schrägen" Interview kennenzulernen.
Zwischen den Zeilen zu lesen ist sein Job: Tom Kraushaar ist seit 2007 verlegerischer Geschäftsführer des Klett-Cotta Verlags. Für das Studium der Italianistik, Literatur- und Betriebswirtschaften zog es den gebürtigen Düsseldorfer nach Berlin, wo er 2005 gemeinsam mit Michael Zöllner den Tropen Verlag ins Leben rief. Warum er trotz langjähriger Verlagserfahrung in deutschen Großstädten Stuttgart als einen „Hidden Champion“ schätzt und wieso für ihn Weltliteratur mit einem Rasenmäher zusammenhängt, erklärt Tom Kraushaar in vier Minuten.
Guten Tag, Herr Kraushaar. Wie sieht Ihre Morgenroutine aus?
Um 5.25 klingelt der Wecker, dann gibt es Kaffee und die Süddeutsche Zeitung aus Papier. Wenn dann noch Zeit ist, bevor die Kinder kommen, schaue ich noch in Manuskripte hinein. Vor Sonnenaufgang liest es sich am besten.
Lieber Rasenmähen oder lieber Autoputzen?
Autoputzen ist so ziemlich die schlimmste Tätigkeit, die ich mir vorstellen kann. Und Rasenmähen eine der schönsten. Dabei höre ich Klassiker der Weltliteratur. „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ von Marcel Proust habe ich quasi komplett beim Rasenmähen und Holzheckseln gehört. Gut, dass der Autor das nicht miterleben musste.
Was machen Sie als Ausgleich zum vielen Lesen?
Bücher sind im besten Sinne asoziale Medien. Insofern ist der beste und schönste Ausgleich zum Lesen Reden, Zuhören und mit Menschen zusammen sein. Das gilt übrigens auch umgekehrt.
Was vermissen Sie an Düsseldorf am meisten?
Den Rhein. Die Sentimentalität, mit dem ich den Rhein vermisse, ist schon fast vulgär.
Gibt es das perfekte Buch?
Nein, was für eine grässliche Vorstellung.
Über all die Jahre als Lesender hinweg: Haben Sie eine/n Lieblingsautor:in?
Ja, alle die ich verlege. Und dann noch sehr viel andere. Manche Autoren, wie etwa Thomas Bernhard, haben mich jahrelang geprägt - heute kann ich weniger damit anfangen. Und zum Beispiel Lew Tolstoi fand ich früher langweilig und heute verehre ich ihn.
Welche Rolle spielt Stuttgart für die internationale Literaturszene?
Wie so oft ist Stuttgart auch im internationalen Literaturbetrieb ein Hidden Champion. Ja, natürlich lockt das Literaturhaus immer wieder Stars nach Stuttgart und bei Klett-Cotta gibt es auch die ein oder andere Autor:in von Weltrang. Es ist aber unter Stuttgartern weitgehend unbekannt, dass die Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck von der Gänsheide aus nicht nur einige der bedeutendste deutschen Literaturverlage, wie Rowohlt oder Fischer steuert, sondern auch zahlreiche andere bedeutende Verlage in Großbritannien oder den USA.
Welchen Fehler darf man als Verleger niemals begehen? Und welchen sollte man machen?
Man sollte nie auf einer Buchmesseparty als DJ auflegen (ich habe mich bisher daran gehalten). Man sollte aber immer wieder Bücher machen, von denen einem alle abraten, aber man aus irgendeinem unsinnigen Grund glaubt, dass sie in 200 Jahren „entdeckt“ werden.
Welche Verantwortung hat man, wenn man ein Traditionshaus wie Klett-Cotta leitet?
Man ist verantwortlich für viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, für Autor:innen. Und man ist verantwortlich für den Verlag, der immer auch eine eigene Person ist, mit einer Geschichte, mit Eigenschaften, Talenten und Schwächen.
Was ist Ihnen wichtiger: erfolgreiche Bücher oder erfolgreiche Autor:innen?
Natürlich die erfolgreiche Autor:in.
Können Bücher die Welt retten?
Ich behaupte, dass es ohne die Bibel, „Das kommunistische Manifest“ und „Der Herr der Ringe“ die Welt gar nicht mehr geben würde. Auch, wenn kaum jemand diese Bücher – mit Ausnahme von "Der Herr der Ringe" – komplett gelesen hat. Aber Bücher können die Welt auch nah an den Abgrund bringen. Bücher sind wie Atomkraft und die Liebe: Sie verfügen über sehr viel Kraft, mit der man vorsichtig umgehen sollte.
Fotografien von Matthias Straub

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