Katja Wanke
22.09.2022

0711er: Tara Hariri

0711er sprudeln vor Ideenreichtum. Mit ihren kreativen Visionen stehen sie mal im Spotlight, mal hinter den Kulissen aber immer für ein progressives und buntes Stuttgart. Wir besuchen die 0711er in ihrem natürlichen Habitat und schreiben ihre Geschichten auf.
„Ich sehe Geschmack“, sagt Tara Hariri und legt die Tomaten zu den Karotten und Champignons auf den Küchentisch. „Bei mir reicht es schon, wenn ich nur ein Bild sehe – egal ob das Kunstwerk einen Titel hat oder ein traditionelles Gericht drauf abgebildet ist – ich sehe Formen und Farben und kann damit etwas ganz Eigenes machen.“ Was Tara in ihrer Küche zubereitet, bleibt nicht in Stuttgart-Süd. Ihre Rezepte reisen um die Welt, werden geteilt, gekostet und für außergewöhnlich gelungen befunden. Auf ihrem Projekt @mangiare.collective teilt sie seit 2019 Food-Inspiration und den Zubereitungsprozess mit über zehntausend Follower:innen. Und auch außerhalb der Social Media Bubble schwingt sie bei Veranstaltungen gelegentlich den Kochlöffel. Nach einem gemeinsamen Marktgang wirbelt Tara nun durch ihre Küche und erzählt uns von Vesuv-Tomaten, vom Brückenbauen und von Mama und Papas Garten. Wir fragen sie außerdem: Wie kann Essen dazu beitragen, dass im Strudel des Instagram-Individualismus das kollektive Zusammensein nicht verloren geht?

Ein Garden of Eden zwischen Frankfurt und Kassel

Wenn Tara von ihrer Kindheit spricht, dann spricht sie in Bildern. Da ist zum Beispiel das ländlich gelegene Haus in Hessen und der große Wahlnussbaum im Garten. Aber da sind auch Rollfelder und Flugzeugfenster, die Tara und ihre Familie regelmäßig in den Iran, das Heimatland ihrer Eltern, oder in die USA zu anderen Verwandten gebracht haben. Tara ist in Deutschland geboren, doch durch die regelmäßigen Reisen in den Iran ist die Verbindung dorthin stehts präsent – und das, obwohl sich die Wahl-Stuttgarterin dazu entschieden hat, insbesondere mit einem Familienbrauch zu brechen: „Meine Mutter kocht nicht. Bei uns in der Familie kochen Frauen nicht. Ich koche“, schmunzelt Tara. So wie Tara den Gemüsegarten ihrer Eltern beschreibt, zeichnet sie das Bild ihres persönlichen „Garden of Eden“ inklusive Fallobstenthusiasmus. „Wenn man mich bei „Wetten, dass..?“ hinstellen würde, könnte ich immer das Obst und Gemüse aus unserem Garten rausschmecken, das hat einen ganz besonderen Geschmack und löst eine Kindheitserinnerung aus“, sagt Tara. Zu Taras liebsten Anekdoten gehört auch, wie sich ihr jüngeres Ich jährlich zur Erntesaison freiwillig als Versuchskaninchen meldete und eine Verkostung der frischen Gartenerzeugnisse durchführen durfte. Das Gemüseparadies ihres Elternhauses gibt es auch heute noch, nur bekommt inzwischen Tara nicht mehr die allererste Ernte-Frucht, sondern ihr kleiner Sohn Neo.

Benvenuti a Roma!

Dass es Tara raus aus der Landidylle und rein in die Betonromantik – aka. die Uni Stuttgart geführt hat, war Zufall. Der ursprüngliche Plan lautete Zahnmedizin, letztendlich wurde es dann doch das Architekturstudium und ein Wohnheimzimmer in Untertürkheim. Dementsprechend herausfordernd war die Eingewöhnungszeit im Ländle: „Die ersten drei Monate habe ich jeden Tag geweint. Ich wusste davor überhaupt nichts über Architektur und habe oft mit dem Gedanken gespielt, abzubrechen. Aber ich war zu stolz, um aufzuhören, und so habe ich es lieben gelernt.“ Gegen Ende des Bachelors zog es Tara dann für ein Auslandssemester in die offizielle-inoffizielle Stadt der Kulinarik, genauer gesagt nach Rom. Ein Schlüsselmoment, der Tara noch heute in Erinnerungen schwelgen lässt: „Ich hatte eine WG mit zwei Italiener:innen. Die beiden haben mir authentisch, römische Küche gezeigt, da war kein einziger Touri. Danach sind wir zusammen durchs Land gereist und ich habe versucht, nur lokal zu essen und italienisch kochen zu lernen“ . Durch iranische, deutsche und italienische Einflüsse fühlt sich Tara inzwischen in drei kulinarischen Territorien zu Hause, aber wieso ist sie von italienischem Essen so gefesselt?
„Italien lebt nach der Philosophie: Simple Küche, aber dafür sehr gute Produkte. Manchmal besteht die italienische Tomatensauce auf der Pizza nur aus Tomaten vom Vesuv, zerdrückt mit ein bisschen Knoblauch und Olivenöl – das war’s. Sie können sich auf die Qualität ihrer Produkte verlassen.“
Für Tara geht Essen und Kollektivismus Hand in Hand. Der Name ihres ganz persönlichen Food-Projekts sollte diese Verbindung repräsentieren und dabei noch eine schöne Klangsprache verkörpern. Gesagt, getan. 2019 im Sardinienurlaub wurde der Channel passenderweise „Mangiare Collective“ getauft.

Spontanität ist Trumpf

Austernpilz-Tacos mit Avocadocreme und eingelegten Zwiebeln? Mango Curry mit Zitrusfrüchten und Tofu oder doch lieber die Orecchiette-Pasta mit Champignons?
Heute wird es letzteres. In der Pfanne brutzeln die Tomaten und bilden einen farblich markanten Kontrast zum frischen Basilikum. Bei Mangiare Collective ist jedes Gericht sowohl ein visuelles, als auch ein geschmackliches Kunstwerk. Nicht selten dient auch grafische, architektonische oder malerische Kunst als Inspiration für die bunten Rezepte. Tara sieht Formen und Farben, abstrahiert diese und komprimiert sie auf einem Teller – jedes Mal eine willkommene Challenge für die Köchin. Allerdings sind die Rezepte von Mangiare Collective nicht nur schön anzusehen. Mit Prozessbeschreibungen und Kochvideos öffnet Tara ihre Küchentüre für Food-Newcomer:innen und all diejenigen, die Lust aufs Ausprobieren haben. Wichtig ist ihr dabei, ihre kulinarische Spontanität nicht aus den Augen zu verlieren: „Ich mache mir zu jedem Gericht viele Gedanken und weiß auch bis zum Ende nicht, was es wird“, verrät Tara. „Während dem Rezeptfilmen poste ich die Stories in Echtzeit, selbst wenn ich nicht weiß, ob am Ende alles verbrennt, ich riskiere es dann einfach.“ Tara versteht ihr Social Media Projekt als Tagebuch, welches respektiert, wenn sie trotz Algorithmus und Performance-Druck nicht täglich ein paar Zeilen hinein schreibt. „Kreativität braucht Zeit, ansonsten wird alles zu einem homogenen Bild, einer einheitlichen Meinung. Und selbst wenn ein Post mal 120 und mal 6.000 Likes hat, sollte man sich daran erinnern: Chill, darum geht’s nicht im Leben.“

Ein Esstisch voller Ideen

Gekocht hat Tara inzwischen übrigens schon für Events am Stadtpalais und erst kürzlich rief sie mit Diana „doandlive“ Scholl ein kleines Food-Pilotprojekt in der Villa Humboldhein ins Leben. Veranstaltungen wie diese repräsentieren die Vision der Stuttgarterin, denn Tara und Mangiare Collective stehen nicht nur dafür, leckere Rezepte ästhetisch zu drapieren, sondern um das gemeinschaftliche Essen der frisch zubereiteten Köstlichkeiten zu zelebrieren. „Es ist eine Brücke, die man durchs Essen schlagen kann. Das ist so ein bisschen auf dem Weg verloren gegangen, Freunde einzuladen, sich wirklich Zeit zu nehmen und schöne Gespräche zu haben. Ich finde, heute ist das Gold wert“, sagt die Köchin. Stuttgart braucht diesen Kollektivismus, Stuttgart braucht Tara. Es trifft sich also gut, dass ihre Zukunftsvisionen mindestens so bunt und vielseitig sind, wie der Jogurt-Kichererbsen-Salat oder die Quinoa Bowl mit Granatapfelkernen. Da wäre die Idee zu einem Kochbuch, eigens entworfene Küchengeräte stehen auf der Agenda oder vielleicht wird es doch eine Mangiare-Kochkurs-Serie oder ein eigenes Restaurant? „Ich schließe nie etwas aus“, grinst Tara, während sie dem gedeckten Esstisch den letzten Schliff verpasst und ihre Gäste zu Tisch bittet.
Fotografien von Saeed Kakavand

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